Naturschutz für den ältesten
Breisgauer!
Unter diesem Titel stellt der Wiener Grundwasserforscher Peter Pospisil den Lebensraum von Grundwasserorganismen vor. Während manche von uns aus dem Biologieunterricht, aus Fernsehsendungen oder aus Sachbüchern eine Vorstellung von unseren Land-Ökosystemen wie Wäldern, Wiesen oder Fließgewässern vermittelt bekommen oder über die ökologischen Veränderungen der Regenwälder oder der Arktis informiert werden, haben wir kaum eine Ahnung davon, dass das größte und älteste Festland-Ökosystem teilweise nur wenige Dezimeter direkt unter uns ausgebildet und vielfach von Umweltverschmutzung betroffen ist.
Das Ökosystem Grundwasser hat zahlreiche Eigenheiten, die es von den uns geläufigen unterscheidet.
Ein wesentlicher Unterschied ist die Dunkelheit dort unten. Dies hat eine Reihe von Anpassungen der Grundwasserbewohner zur Folge. Bei andauernder Dunkelheit sind Augen nutzlos, weshalb Grundwassertiere keine Lichtsinnesorgane haben. Sie brauchen keine Pigmentierung als Schutz vor Sonnenlicht, deshalb sind sie durchsichtig oder erscheinen uns weißlich.
Wegen des fehlenden Sonnenlichts gibt es im Ökosystem Grundwasser keine Pflanzen, die auf dem Land mit Hilfe des Lichtes Biomasse produzieren und dabei Sauerstoff freisetzen. Daher können die im Grundwasser lebenden Organismen ausschließlich solche Partikel als Nahrung nutzen, die von der Bodenoberfläche oder aus Gewässern in den Untergrund einsickern. Es geht also karg zu in der Tiefe, sowohl was Nahrung, als auch die Sauerstoffversorgung angeht. Grundwasserbewohner sind wahre Hungerkünstler. Sie können ihren Stoffwechsel stark verlangsamen oder ihre Aktivität einschränken und so auch längere Zeit ohne Nahrung zurechtkommen.
Wegen des Sauerstoffmangels haben manche Grundwassertiere spezielle Atemeinrichtungen entwickelt. Zudem sind sie dazu in der Lage, geringe Sauerstoffkonzentrationen zu ertragen und können für eine gewisse Zeit sogar ganz ohne Sauerstoff überdauern.
Das Grundwasser-Ökosystem kennt keine Tages- und Jahreszeiten und es ist gleichbleibend kalt, wobei die Temperatur an einem bestimmten Standort dem Jahresmittel entspricht. Bei uns müssen die Grundwasserorganismen ganzjährig mit 9-10 ° C zurechtkommen.
Die Tiere des Grundwassers haben im Vergleich zu ihren Verwandten in Oberflächengewässern sehr lange Entwicklungszeiten, sie wachsen langsamer und werden zudem älter. Sie produzieren wenige aber dotterreiche Eier und manche Arten betreiben eine regelrechte Brutpflege. Biologen haben ausgerechnet, dass Wasserasseln aus Oberflächengewässern etwas mehr als ein Jahr alt werden, während ihre Vettern im Grundwasser ein Alter von bis zu 15 Jahren erreichen können. Sie braucht dafür entsprechend lange, bis sie nach dem Schlüpfen aus dem Ei erwachsen werden. So hat die oberirdisch lebende Assel eine Entwicklungszeit von 4 Monaten, während die Grundwasserassel 6-8 Jahre braucht, um erwachsen zu werden (Preuß & Schminke 2004).
Am Beispiel von Hüpferlingen, einer Gruppe von Krebstierchen, berichtet Pospisil, dass die Weibchen von Formen der Oberflächengewässer große Eiersäcke tragen, in denen sich etwa 50 Eier mit nur wenig Dotter befinden. Dagegen ist die Anzahl der Eier bei den Grundwasserformen stark verringert, diese sind jedoch dotterreich. Einige Arten tragen schließlich nur noch zwei riesige Eier mit einem großen Dottervorrat, der den jungen Larven ein Überleben im Untergrund ermöglicht.
Bevor man mit Eiern und Dottervorrat überhaupt etwas anfangen kann, muss es zur Paarung kommen. Im engen, kalten und dunklen Lückensystem ist die Partnersuche nicht so einfach wie an der Oberfläche. Um mit den speziellen Umweltbedingungen zurecht zu kommen, haben einige Hüpferlinge stark verlängerte Sinnesborsten ausgebildet, mit denen sie sehr geringe Konzentrationen an Duftstoffen der Geschlechtspartner aufspüren können.
Biotop Grundwasser:
Links oben zwängt sich eine Grundwasserassel in eine Lücke, rechts ein Grundwasserflohkrebs der sich mit dem Kopf nach unten in Richtung Schnecke fortbewegt.
Unten rechts und in der Mitte zwei Muschelkrebschen und links zwei verschiedene Hüpferlinge; einer der beiden trägt drei große Eier.
Die Computergrafik wurde uns freundlicherweise von Herrn Dr. Peter Pospisil aus Wien zur Verfügung gestellt. Wir danken ihm herzlich dafür.
Je nach Umgebung im Untergrund ist es ziemlich eng. Jeder, der schon einmal die Schichtlagerung in einer Kiesgrubenwand gesehen hat, kann sich ein Bild davon machen, wie klein der Raum zwischen Elzwacken, Kieselsteinen und Sand ist. Abgesehen von einigen wenigen zentimetergroßen Gängen, in denen das Grundwasser strömt, ist der Lebensraum geprägt von einem kleinräumigen Lückensystem. Auch an diese Enge haben sich die Tiere, die meist kleiner als 1 mm sind und vielfach wurmähnliche Körperformen entwickelt haben, perfekt angepasst. Aber auch größere Arten, die bis zu drei Zentimeter lang werden können, sind nicht auf größere Hohlräume beschränkt, sondern können sich wegen ihrer extrem abgeflachten Körper auch durch engste Spalten und Risse zwängen.
Bei den Grundwassertieren handelt es sich vor allem um Angehörige verschiedener Wurmgruppen, um Krebstiere und neben weniger bekannten Organismen kommen Schnecken, Asseln oder Milben vor. Von großer Bedeutung sind Bakterien, die auf den Gesteinspartikeln sogenannte Biofilme ausbilden, die ihrerseits von den Tieren abgeweidet werden. Zudem wirken spezialisierte Pilzarten beim Abbau organischer Substanzen mit und dienen zugleich als Nahrung für Grundwassertiere (Uhlmann & Horn 2001).
Im Grundwasser wurden bisher alleine in Europa über 2.000 Arten beschrieben, in Baden-Württemberg sind über 100 Tierarten bekannt. Für den, der sich bisher nie bewusst war, dass es diesen Biotop überhaupt gibt, mögen diese Zahlen hoch erscheinen. Verglichen mit den oberirdischen Ökosystemen handelt es sich dabei aber um eine extrem artenarme Truppe, in der die Konkurrenz zwischen den Arten nur eine geringe Rolle spielt (Uhlmann & Horn 2001).
Dass unser Trinkwasser so sauber aus der Leitung kommt, wie wir es erwarten, verdanken wir vor allem den Lebewesen im Grundwasser. Sie fressen und zersetzten eingetragene Schadstoffe und reinigen so unser Trinkwasser. Besonders wichtig ist dabei ihre Funktion als Zerkleinerer grober organischer Partikel, die danach von Mikroben abgebaut werden können. Damit sorgt die Gemeinschaft der Grundwasserorganismen auch dafür, dass die Grundwasserleiter nicht verstopfen und so der Wasserstrom aufrecht erhalten wird.
Mit dem Offenhalten der Grundwasserporen wird wiederum die ohnehin knappe Versorgung mit Sauerstoff verbessert, der für den mikrobiellen Abbau von organischer Substanz notwendig ist. Bei zurückgehendem Sauerstoff-Nachschub können die Bakterien die organischen Stoffe nicht mehr vollständig zerlegen und es entstehen vielfach giftige Abbauprodukte.
Pospisil weist darauf hin, dass Umweltchemikalien, die im Grundwasser über lange Zeiträume nicht oder nur schwer biologisch abbaubar sind, sich auf den Sandkörnern und Kieselsteinen im Untergrund anreichern, der dadurch wie ein Depot für Schadstoffe wirkt. Grundwassertiere sind empfindlich gegen Verschmutzungen ihres Lebensraumes, so dass man ihr Vorkommen als ökologisches Gütemerkmal heranziehen kann (BLW 2004; S. 28 sowie Avramov et al. 2010; S. 77).
Eine bemerkenswerte Gruppe unter den Grundwassertieren sind die Brunnenkrebse, deren Verwandtschaft man als lebende Fossilien bezeichnen kann. Sie sind fossil seit dem Karbon bekannt, also der Periode vor etwa 300 Millionen Jahren, als die Amphibien an Land eine verbreitete Gruppe waren und erste Reptilien auftauchten. Biologen nehmen an, dass Vertreter dieser Gruppe schon sehr früh in das Ökosystem Grundwasser eingewandert sind und in dessen Schutz ungünstige Zeiträume überdauern konnten, während ihre Verwandten an der freien Oberfläche ausstarben oder sich den veränderten Bedingungen angepaßt und stark verändert haben.
Der Freiburger Brunnenkrebs (Bathynella freiburgensis) ist wohl der älteste Breisgauer überhaupt. Er hat die Jahrmillionen in der Unterwelt überlebt und kommt heute in ganz Baden zwischen Lörrach und Heidelberg vor (Fuchs 2007; S.45).
Typisch für ihn und andere Grundwassertiere sind verlängerte Gliedmaße, die ihrem besonders gut entwickelten Tastsinn dienen.
Wir danken Herrn Dr. Fuchs herzlich dafür, dass wir das Foto verwenden dürfen.
Literatur:
* Pospisil, Peter: Das verborgene Ökosystem unter unseren Füßen. In: Berger, Roland und Ehrendorfer, Friedrich (Hg.): Ökosystem Wien – Die Naturgeschichte einer Stadt. S. 110-115. Böhlau Verlag Wien-Köln-Weimar 2011.
* BLW -Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft: Grundwasser – Der unsichtbare Schatz. SpektrumWasser 2. München 2004.
* Uhlmann, Dietrich & Horn,Wolfgang: Hydrobiologie der Binnengewässer – Ein Grundriss für Ingenieure und Naturwissenschaftler. Verlag Eugen Ulmer Stuttgart 2001
(aw)